Dieter Roths Schimmelmuseum (ein Projekt-Gegenstand)

Den Ausgangspunkt der Untersuchungen bildet das zu Beginn der 1990er Jahre von Dieter Roth initialisierte und bis Winter 2003/2004 bestehende Schimmelmuseum (Hamburg). Gerüche von Verwesung und Zersetzung entströmen den schimmernden, staubigen, glitzernden, fluiden, morbide anmutenden Kunstmaterialien. Transportiert wird die visuelle, taktile, olfaktorische und sogar gustatorische und auditive Erfahrbarkeit von Verfalls- und Schimmelobjekten. Im Sinne seines anti-statischen Kunstbegriffs bezog der Künstler alle klassischen Gattungen in sein Œuvre ein und entwickelte seine Werke mit transformierenden, prozessierenden Materialien unter Einbezug der Faktoren Zufall und Zeit weiter. Schimmel als Werkstoff leitet unweigerlich zu kunsthistorischen Fragestellungen, institutionskritischem Diskussionsbedarf, der Frage nach den normativen Strukturen ästhetischer Wahrnehmungen oder semantischen Aufladungen von transformierenden und in der Auflösung begriffenen Kunstwerken.

Sowohl materiell, als auch konzeptuell bündelt das Schimmelmuseum zentrale entwicklungs- und verfallsspezifische Aspekte zum Werk des Künstlers. Lebensmittel- und Verfallsobjekte wie die vor Ort produzierten Löwenselbst-, Selbst– und Zuckertürme sowie mit Gewürzen, Obst und Gemüse gefüllten „Fenster“ und Zuckermatten weisen aktive Werkveränderungs- und Verfallsprozesse auf. Die organische Auflösung der Arbeiten ist von Roth intendiert. Ferner lebte und arbeitete der Künstler zugleich an Orten wie diesem Verfallskosmos. Dies zeigt neben dem Schimmelmuseum auch das Dieter Roth Museum mit Atelier (Hamburg) und der ehemalige Werkraum mit Selbstturm und Löwenturm (1969-1998; Kunstmuseums Basel / Gegenwartskunst). Atelier, Museum und Lebensort im Moment der Werkentstehung und organischen Zersetzung bis zum Abriss der Architektur 2004 waren im Schimmelmuseum geeint. Damit gilt es als beispielhaft in der Kunstgeschichtsschreibung.

An diesem Ort in Hamburg Harvestehude bündelte Roth seinen Kunstbegriff sowohl atelier- und objektspezifisch in Werkenstehungs- und Verfallsprozessen, in der musealen Präsentation als auch in der Architektur selbst. Auch der nach dem Abriss der Hamburger Institution Schimmelmuseum eingerichtete Schimmelraum gewährt den fortlaufenden Entwicklungs- und Zersetzungsprozessen vielzähliger Objekte und Installationen eine Existenzgrundlage, sodass sich die materiellen Prozesse ungehindert weiter entfalten. Roths Künstlerküchen, die Schokoladen- und farbigen Zuckerbüsten, Obstbilder, Zuckermatten, in fragmentierter Schokolade und von Gespinsten umwobene Gartenzwerge bezeugen sowohl die Herstellungsprozesse als auch die eindrücklichen Spuren von Zeit, Vergänglichkeit und Verfall.

Dieter Roth, Zuckerturm (Schimmelmuseum), 1994. Fotografie: Heini Schneebeli, 1999
© Dieter Roth Foundation, Hamburg / Courtesy, Hauser & Wirth.

Kontakt